Lingner - Stiftung

Nach Lingners Tod wurde durch die Testaments- vollstrecker der Grundbesitz in Dresden und Bodenbach, das Bergwerk in Dux (Henriettenschacht), die Deutsche Desinfektionszentrale GmbH, der Deutsche Verlag für Volkswohlfahrt und das Sächsische Serumwerk veräußert. Die Aktien der Lingner-Werke kaufte die Dresdner Bank. Ein Großteil von Lingners Kunstbesitz und der wertvollen Einrichtung der Villa Stockhausen, aber auch über 9000 Flaschen Wein, wurden 1917 in Rudolph Lepke‘s Kunst-Auktions Haus in Berlin versteigert.

Lingner bedachte in seinem Testament jeden seiner Angehörigen, Freunde und Hausangestellten.

Die Beamten und Arbeiter der Lingner-Werke, des Serum-Werkes, der Desinfektionszentrale Berlin, der Lesehalle und des Hygiene-Museums erhielten den Betrag eines Monatsgehaltes, die Arbeiter zusätzlich den dreifachen Betrag des ihnen zustehenden Weihnachtsbetrages. 58 Vereine wurden von Lingner mit Beträgen von 10000 bis 100 Mark bedacht.

Um das weitere Bestehen seiner sozialen Ein­rich­tun­gen zu si­chern, hinterließ Lingner den Großteil seines Ver­mögens einer zu diesem Zwecke eingerichteten Stif­tung. Zusätzlich soll­te die Stiftung neue, noch nicht realisierte Vorhaben Ling­ners un­ter­stüt­zen. Die Be­gründung der Stiftung erfolgte nach den Ver­fü­gun­gen in Lingners Testament vom 22. Mai 1916 mit einem Kapital von etwa 10 Millionen Mark, sämt­li­che Ausgaben sollten lediglich aus Zins­mit­teln aufge­bracht werden. Als Organ der Stiftung fungierte ein Ver­wal­tungs­rat und ein geschäftsführender Ausschuss. Als Vor­sit­zen­den des in der Re­gel 24-köpfigen Verwal­tungs­ra­tes bestimmte Lingner den jewei­li­gen sächsischen In­nen­minister, als stellvertretenden Vorsit­zen­­den den Ober­bürgermeister Dresdens. Während der Ver­wal­tungs­rat sämtliche Stiftungsgeschäfte abzuwickeln hat­te, oblag dem geschäftsführenden Ausschuss die Ver­waltung und Pla­nung des Stiftungsvermögens. Die Ober­aufsicht über die Lingner-Stif­­­­tung übernahmen das Kultusministerium und das Innen­mi­­ni­­­sterium.

Es erscheint bezeichnend für Lingners Weitsicht und Orga­ni­sa­tionsfähigkeit, dass er “öffentliche Ver­ant­­wortungsträger” mit der Betreuung seiner Stiftung be­auftragte, um damit deren Ge­mein­nützigkeit und Fort­bestand wahren zu können. Ent­spre­chend Ling­ners Vorgaben förderte die Stiftung die öffentliche Säug­­lingsfürsorge, die Schulgesundheitspflege, die ge­sund­heit­li­che Belehrung der Schulkinder und die all­gemeine Volks­be­leh­rung auf dem Gebiet der Ge­sund­heitspflege. Während regelmäßig ein Viertel der Stiftungs­ein­künf­te der Säug­lingsfürsorge zugute kam, unter­stütz­te die Lingner-Stif­tung den biologisch-hygienischen Un­ter­richt durch den Aufbau einer Lehrmit­tel­samm­lung. Diese bestand aus farbigen Ans­chau­ungstafeln und durchsichtigen “Spalteholzpräparaten”. Die Her­stel­lung dieser Unterrichtsmittel erfolgte in den Werk­stät­ten des Deutschen Hygiene Museums. Weiterhin soll­ten Unter­richts­­­sammlungen käuflich veräußert wer­den, um das Vermö­gen der Stiftung zu mehren.

Zur Förderung der Gesundheitserziehung stiftete Ling­ner Preis­­ausschreiben, zum Beispiel für besonders gute Schulaufsätze über Hygiene. Für die jährliche Un­­terstützung stellte die Stiftung der Lan­desdes­in­fek­to­renschule 3.000 Mark und der Dresdner Lese­hal­le 5.000 Mark zur Verfügung. Bestimmungsgemäß er­hielt das Deutsche Hygienemuseum den jährlichen Rest des Rein­ein­kom­mens der Stiftung. Nach bis­herigen Erkenntnissen muss­te die Lingner-Stiftung “in­folge der Inflation 1923 sämt­li­che Zahlungen ein­stel­len”. So sanken die Zuschüs­se für das Na­tio­nal Hygiene-Museum von 85.000 Reichsmark (Gold­­wert) im Jahre 1918 auf 7,33 Reichsmark (Goldwert) 1923!

Im Jahre 1941 beendete die Lingner-Stiftung mit der Über­ga­be von 1.220.526 Mark an das Deutsche Hy­giene-Museum ih­re Arbeit. Das Kapital stammte aus Kriegsanleihen, Reichs­schatz­­anweisungen,Stadt­an­­leihen, Pfandbriefen, Hypotheken und Aktien der Lingner-Werke. Die Auflösung erfolgte aufgrund einer Feststellung des Finanzamtes Dresden, wonach die Ling­­­ner-Stiftung körperschafts- und vermögenssteuer­pflich­tig sei. Nach einem erfolglosen Anruf beim Reichs­finanzhof be­schloss der Vorstand der Stiftung am 24. Februar 1941 die Auf­lö­sung, um dem Zugriff des Fiskus zu entgehen.

Neben der Lingner-Stif­tung begründete K. A. Lingner die Ling­ner-Fa­mi­­lien-Stif­tung mit einem Grundkapital von einer Million Mark. Sie sollte die Ausbildung aller Abkömmlinge des Urgroß­va­ters von Lingner unterstützen. Hans Güntzel-Lingner, ein Sohn von Lingners Schwester trat 1933 als Herausgeber der “Mitteilungen der Familie Lingner” auf, diese erschienen im Falkensteinverlag. Dessen Sohn, der Astronom Dr. Ullrich Güntzel-Lingner, erhielt beispielsweise bis zum Abschluss seiner Promotion in den 30´er Jahren Mittel aus der Familien-Stiftung und 1000 Mark für die bestandene Promotionsprüfung. Die Konten der Lingner-Familienstiftung wurden nach 1945 gesperrt, das Guthaben wird mit “mehreren Millionen Mark” angegeben. Die Verwaltung der Stiftung soll in den Händen eines gewissen Dr. Schreiber in Dresden gelegen haben.

Für nachstehende, testamentarisch von Lingner fest­­gelegte In­stitutionen erfolgten Geldzuwendungen:

Königliche Hofkapelle 30.000 Mark, Hoftheaterchor 10.000 Mark, Ballett 10.000 Mark, Verein zur Spe­i­sung bedürftiger Kin­der 100 Mark, Verein zur Für­sor­ge von Strafentlassenen 100 Mark, Hilfsverein für Gei­stes­kranke 100 Mark, Verein für Fabrikarbeiterinnen 100 Mark, Gemeinde Loschwitz zur Un­ter­­stüt­zung kin­­derreicher, armer Familien 100.000 Mark. Diese Aufstellung dokumentiert Lingners Kunstliebe und seine Ver­­bundenheit mit Hilfsbedürftigen.

In Ling­ners Testament wurde auch seine Majestät, der Kö­nig Fried­rich August von Sachsen, bedacht. Die­sem ver­erbte Ling­ner das Schloss Tarasp in der Schweiz “mit dem gesamten dazu ge­hörigen Grund­be­sitz so­wie allen dort befindlichen Möbeln, Kunst­ge­gen­stän­den, Porzellan, Wirtschaftsgegenständen, Haus­­wä­sche, wie alles steht und liegt”. Nach Prü­fung des Erbes lehnte der König von Sachsen das Schloss ab. In der Presse ließ man verbreiten, dass die te­stamen­ta­risch bestimmte Aufent­halts­­­pflicht von ei­nem Mitglied der königlichen Familie (min­des­tens zwei Monate im Jahr) nicht zu realisieren sei. Da dies­bezüglich kei­nerlei Bestimmungen in Lingners Te­sta­­ment nach­zu­weisen sind, waren wohl die an­ste­hen­den finan­ziel­len Ausgaben für den König zu hoch. Ne­ben der durch die Ge­mein­de Tarasp verlangten Nach­steuer von 160.000 Franken wa­ren die jährlichen Un­terhal­tungs­kosten bedeutend. Als Ersatzerben be­stimm­te Ling­ner den Großherzog Ernst Ludwig von Hes­sen, dessen Nachkommen noch heute Besitzer von Schloss Tarasp sind.

Auch seine die Villa Stockhausen betreffenden te­sta­­men­ta­ri­schen Verfügungen zeigen Lingners Bestre­ben, gemeinnützige Ein­­richtungen zu unterstützen. So vererbte Lingner die Villa der Stadt Dresden unter nach­stehenden Bedingungen:

a) Der Park ist der gesamten Bevölkerung zugängig zu ma­chen,
b) in dem Hauptgebäude evtl. auch in dem Ne­ben­ge­bäu­de ist thun­lichst ein Restaurant oder Café mit bi­l­li­gen Preisen einzu­rich­ten. Die Preise dürfen nicht we­sent­lich höher sein als bei­spiel­sweise im Linckeschen Bad, im Waldschlösschen, kurz wie in grossen Mas­sen­restaurants beziehungsweise Cafés. Ich wünsche kein Etablissement für nur reiche Leute erstehen zu se­hen. Der Sinn die­ser Bedingung ist: Ich will, dass die ge­samte Bevölkerung in die Lage gebracht wird, mit ei­ner Ausgabe von 20-30 Pfennige die Schönheit die­ser herr­lichen in Europa einzigartigen Lage zu ge­nies­sen. Ich würde wünschen, dass sich ein intelligenter Leiter fin­det (...), der diese Stätte zu einer allgemeinen Freu­denstätte orga­ni­­siert: Anlegeplatz für Dampfschiffe, Kahnpartien, mas­sen­haft Gon­deln und Kähne aller Arten, an der Elbe lau­schi­ge Plätzchen (es ist Platz für 20-30 Parteien auf den Obst Terassen), Aus­nut­zung für hundert von Per­so­­nen der entzückenden Elb-Terrasse, evtl. so­­gar der Wie­sen an der Elbe ...
c) Der Tierpark ist von der Stadt Dresden zu unter­hal­­ten ...
d) Ausser der Zeit der Obstreifung und Obst-Ernte an den ver­schie­denen Orten (Park, Berg, Warmhaus) darf kein wesent­li­cher Teil des Parkes der Bevöl­ke­rung abgeschlossen werden”.

Leider gelang es der Stadt Dresden nicht, das Erbe in Ling­ners Sinne anzutreten. “Jahrzehnte standen die Räu­me [der Villa] nahezu leer, nur ge­le­gent­lich fanden Tagungen und Konferenzen statt, hin und wieder erklang auch die Orgel unter den Händen von Musikstudenten. Vom Dresdner Inferno 1945 un­be­­rührt, wurde das Gebäude nach wechselvoller Ge­schich­­te (Lazarett, Kommandantur, ABF-Wohnheim) 1956/57 zum Klub der Intelligenz (später als Dresd­ner Klub bezeichnet) umg­e­baut”. Durch die Übernahme des Anwesens durch den Dresd­ner Klub mit etwa eintausend Mitg­lie­dern wurde die all­ge­meine Zugänglichkeit einge­schränkt. Auch glich die Klub-Gast­­stätte preislich kei­nem “Massenrestaurant”. Leider wurde mit der Über­nah­me der Villa durch den Dresdner Klub die wertvolle Innenarchitektur dem Zeitgeschmack der 50er Jah­­re an­gepasst. Die Nutzung der Villa Stock­hausen durch den Dresd­ner Klub endete 1993. Nachdem die Villa monatelang leer­ stand, erfolgte im Mai 1995 die Ausschreibung durch die Lan­des­haupt­stadt Dresden. Die Stadt beabsichtigt, das Lingner-Schloss über Erbbaurecht mit einer Laufzeit von fünfzig Jah­­ren zu ver­geben.

Viele Jahre nach der Ausschreibung scheint eine auch in Lingners Sinne angemessene und zukunftsfähige Nutzung in Sicht. Der Förderverein Lingner-Schloss hat die Verantwortung zur Restaurierung und Nutzung des Lingner-Schlosses übernommen. Erste Erfolge sind deutlich sichtbar.

 

 

Lingner - Stiftung