Deutsches Hygiene-Museum

Der imponierende Reinertrag der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 war der Aus­gangs­punkt, das Projekt eines Hygiene­mu­se­ums in die Realität um­zusetzen.  Noch während der Aus­stellung, am 15. August 1911, schloss Lingner mit Spal­­te­holz einen Vertrag über die Herstellung von “Spal­te­holz­prä­pa­raten” für ein Hygiene Museum ab. Im Dezember 1911 begründete Lingner eine “Cen­tralstelle für Hygiene”, deren Geschäfts­räu­me sich auf der Großenhainer Straße 9 befan­den. Da­mit erhielt die Zentralstelle alle Werkstätten, Bü­ros und das Pathoplastische Institut, die in Vorbe­rei­tung der I. Inter­na­tio­nalen Hygiene-Ausstellung hier ein­gerichtet wur­den. Die Zen­­tralstelle diente als “Über­­­leitungsanstalt” für das zu grün­den­de Hygie­ne­mu­seum. Zu diesem Zweck über­nahm sie die Po­pu­lä­re Abteilung und die Historische Abteilung der Aus­stel­­lung und begann mit den Vorbereitungen zum Auf­­bau des Hy­gie­nemuseums. 

 

Darüber hinaus zählten die Her­stel­lung und der Ver­kauf von Ausstel­lungs­ob­jek­ten und Präparaten zu den Auf­ga­ben der Zen­tral­stel­le für Hygiene. 

 

Über die Aufgaben und Inhalte des zukünftigen Hy­­giene­mu­se­ums äußerte sich Lingner öffentlich 1912 in seiner “Denk­schrift zur Errichtung eines Na­tio­nal Hygiene Museums”. Da­nach sollte das von ihm ge­plante Museum als “Stätte der Be­leh­rung” der Be­völ­kerung “Gelegenheit schaffen, durch eigene Er­kenn­t­­nis ihren Gesundheitszustand zu erhalten und zu för­dern”. Als Vorteil Dresdens zur Errichtung eines sol­chen Mu­se­ums nannte er “die große Erbschaft, die uns die I. Inter­na­tio­na­le Hygiene-Ausstellung hinter­las­sen hat” und bezog sich dabei auf den Reingewinn von über einer Million Mark, die ge­sam­mel­ten Aus­stel­lungsobjekte, eine erfahrene Beamtenschaft so­wie die entwickelte Ausstellungsmethodik. Die Ausstel­lungs­­ob­jek­te sollten so gestaltet und beschriftet wer­den, dass “sie von je­­dem Laien ohne Vorbildung ver­standen werden” und so einen “Selbstunterricht” der Besucher ermöglichen. Zusätzlich dachte Ling­­ner an regelmäßige Vorträge über Gesundheitspflege, “die je­­der­mann gegen geringes, nach Pfennigen zu bemes­sen­des Ein­­­trittsgeld, zugänglich sind”. Auch plante Ling­ner wis­sen­schaft­liche Vorträge und Demon­stra­tio­nen für Fachleute, wobei er sich auf Vortragsangebote “her­vorragender Hochschullehrer, die an der Tech­ni­schen und an der Tierärztlichen Hochschule in Dres­den wirken” stützen konnte.

 

Am 3. März 1913 erfolgte die Umwandlung des Ver­eins zur Ver­anstaltung der Internationalen Hy­gie­ne-Ausstellung 1911 in den Verein für das Natio­nal Hygiene-Museum. Der Vor­stand des Vereins wähl­te Lingner zu seinem Vorsitzenden und berief den geschäftsführenden Ausschuss des Vereins. Im Aus­­­schuss arbeiteten der Staatsminister a. D. Dr. Franz Walter Koch als Vorsitzender (OB Blü­her und Ober­justiz­rat Pop­per als Stellvertreter), der Min­isterialdirektor Gehei­mer Rat Just als Schatz­mei­ster (Dr. Kretzschmar und Oberjustizrat Dr. Stöc­kel als Stellvertreter), als Referenten Prof. Sudhoff (für wis­­sen­schaftlich-technische Fragen) und Prof. Emil Hoegg (für Museumsbau) mit. Der Ver­ein für das Natio­nale Hy­gie­ne-Museum fungierte als Trä­ger des Museums, somit war es 1913 de facto ge­grün­det. Als Geschäftsräume dienten dem Museum wei­ter­hin die Räu­­me auf der Großenhainer Straße 9, obwohl es un­ter erheb­li­chem Platzmangel litt und keine ei­ge­nen Aus­stellungsräume be­­saß, Ausstel­lungs­stüc­ke des Museums mussten auf dem Boden des Neuen Rat­­hau­ses gelagert werden. Bereits im Oktober 1913 las­­sen sich Bemühungen des Rates zu Dresden nach­wei­sen, das Grundstück Marienstraße 17 für den Preis von 1,8 Millionen Mark zum Museumsneubau zu er­wer­ben. Es fehlte auch nicht der Hinweis, dass die Stadt ohne die in Aussicht gestellte groß­zü­gige Un­ter­stüt­zung Lingners nicht in der Lage wäre, die Geld­mit­tel aufzubringen. Jedoch erst 1930 erhielt das Hy­­gie­ne-Museum auf dem Parkgelände des ehema­li­gen Se­cun­do­ge­nitur einen Museumsneubau. Zu Ling­ners Lebzeiten be­tei­lig­te sich das National Hygiene-Mu­seum Dresden an Aus­stel­lun­gen, so 1913 an der “Ad­ria-Ausstellung” in Wien und der “In­ter­na­tionalen Bau­fach-Ausstellung” in Leipzig, 1914 an der Aus­stel­lung “Der Mensch” in Genua sowie an der “Aus­stel­lung für Ver­wundeten- und Krankenfürsorge im Krie­ge” in Berlin. Letz­te­re Ausstellung wurde 1915 auch in Dresden, Budapest, Bres­lau, Magdeburg und Kassel ge­zeigt. Ziel der Ausstellung war nach Lingner, “wei­te­sten Kreisen die Möglichkeit zu geben, sich davon ein Bild zu machen, was alles geschieht, um das Los de­­rer, die draußen im Felde verwundet oder von Krank­heit be­fal­len werden, nach Möglichkeit zu lin­dern und ihnen eine rasche Ge­nesung zu verschaffen, um zu zeigen, in welcher Weise die Hee­resverwaltung und die freiwillige Krankenpflege sich schon in Frie­dens­zeiten darauf vorbereiteten, den Bedürfnissen ge­recht zu werden, wird durch die gegenwärtige Aus­stel­lung ein um­fassendes Bild darüber an Modellen und Darstellungen, Vor­füh­rungen von Origi­nal­ap­pa­ra­ten und technischen Einrich­tun­gen gegeben und der um­fassende Apparat des Kriegssani­täts­we­sens vorge­führt”. Das National Hygiene-Museum be­tei­lig­te sich an der Ausstellung mit Mikroskopen, der Dar­stel­lung von Eitererregern, Typhus-, Cholera-, Ruhr-, Wun­d­starr­krampf- und Tuberkulosebakterien. Auch wur­den 20 Wachs­mou­­lagen mit Darstellungen von Kriegs­verletzungen sowie der “Des­­infektionsapparat nach Lingner” ausgestellt. 1916 un­ter­stützte das Dresd­ner Hygiene-Museum die Aus­stel­lung über Glie­der­satz und Krüppelfürsorge in Berlin und die Aus­stel­lung über Kriegsbeschädigtenfürsorge in Köln. 

 

Neben ana­tomischen Prä­paraten fertigten die Lehr­mit­­tel­werk­stätten des National Hy­gie­ne-Museums Lehr­sammlungen (Bil­­der, Mo­delle, Erläu­te­run­gen) zu Einzelgebieten der Hy­gie­ne, wie zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten und Tu­ber­kulose und zur Aufklärung über Säuglingspflege an. Darüber hi­naus stell­te das Museum Moulagen sowie eine Badepuppe für den Ge­brauch in Säug­lings­pflegekursen (zum Bei­spiel in der Kin­der­kli­nik mit Säug­lingsheim in der Jo­hann­­stadt) her. Durch den ersten Weltkrieg be­dingt, kam es zu Einschränkungen in der Pro­duk­tion von “Spal­te­holzpräparaten”. Prof. Spalteholz und der Prä­­pa­rator Tscha­ckert wurden zur Armee eingezogen. So war es Spal­­teholz nicht möglich, der Bitte Neissers nach Belieferung mit Haut­prä­pa­raten nachzukommen. Neisser wollte anhand der Präparate die unter­schied­li­che Gefäßverteilung in ein­zelnen Hautbe­zir­ken demonstrieren und somit das un­ter­schied­liche Er­schei­nungs­­bild verschiedener Hauterkrankungen ver­an­schau­­­­li­chen.

 

Wenn auch die Kriegsereignisse, Lingners Tod und die wirt­schaft­liche Situation im Nachkriegsdeutsch­land  erst 1927-1930 einen Museumsneubau gestat­te­ten, so waren es die organi­sa­to­ri­schen und prakti­schen Vorleistungen Lingners und der gro­ße Erfolg der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911, die die­­­­­ses Projekt ermöglichten. Durch die Ein­richtung ei­ner Stiftung versuchte Lingner auch das National Hy­gie­ne-Museum nach sein­em Tod zu un­ter­stützen. 

 

Das Fortbestehen des Deutschen Hygiene-Mu­se­ums Dresden bis in die heutigen Tage beweist dessen un­gebrochene Anzie­hungs­kraft und die Weitsicht sei­nes Schöpfers. Mit der Wie­der­ver­einigung beider deut­scher Staaten im Oktober 1990 wurde al­­lerdings der Charakter des Museums, entgegen den Vor­stel­lun­­gen Lingners, verändert. Die ehemalige Zen­tra­le der Gesundheitserziehung der DDR wurde zu einer frei­staat­lich-säch­si­schen Einrichtung (Stiftung) zurückgestuft und die Konzeption als "Museum vom Menschen" erarbeitet. Nach der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten gab es Bestrebungen, Bundesbehörden in den neuen Bundesländern anzusiedeln. Was lag also näher, als die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Fläche: 4000 qm) nach Dresden zu verlegen ? Ein entsprechender Prüfauftrag durch die Förderalismuskommission wurde erteilt und ein Bonner Ministerium kam zu der Beurteilung, dass das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden (Fläche: 5000 qm) ein "kleines, unbedeutendes Gebäude, das sich ein Mundwasserfabrikant als Hobby geleistet hat" sei. Damit war die Gefahr gebannt und die Rheinländer mussten nicht in das narrenfreie Dresden umziehen. Allerdings ließ es sich die Kölner Bundeszentrale nicht nehmen, die gründliche inhaltliche und personelle Abwicklung des Deutschen Hygiene-Museums und seiner Lehrmittelproduktion selbst in die Hand zu nehmen. Meldungen wie: „Masern-Epidemie“ am Niederrhein und Impfraten für Masern in Westdeutschland unter 50% lassen allerdings Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Umprofilierung des Deutschen Hygiene-Museums aufkommen.

 

 

Hier das "kleine,unbedeutende Gebäude", quasi der posthume "Hobbyraum" eines Mundwasserfabrikanten.

 

(Weitwinkelaufnahme)