Säuglingsheim
Lingner wurde 1897 Vorstandsmitglied im Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt, der aus der 1894 von Schloßmann begründeten Kinderpoliklinik hervorgegangen war. Das
Hauptanliegen des Vereins bestand in der Senkung der Säuglings- und Kindersterblichkeit.
Lingners Anschauungen zur Rassenhygiene, welche durch sozialdarwinistisches Gedankengut beeinflusst waren, lassen unter anderem verstehen, warum sich gerade ein Kaufmann für Säuglingspflege
engagierte. Seiner Meinung nach entscheidet sich die “Güte” einer Rasse in deren Wirtschaftsmacht, die es ermöglicht, andere Rassen zu unterdrücken, “denn nicht nach Gleichgewicht, sondern nach
Übermacht strebt jede Rasse, das liegt in ihrer Natur ... eine Rasse, die nicht nach Übergewicht strebt, ist von vornherein schon zur Unterordnung verdammt”. Um in diesem Wirtschaftskampf
bestehen zu können “ist es vor allem erforderlich ... die drohende Degeneration aufzuhalten. Bei uns Deutschen ist es besonders die ungeheure Säuglingssterblichkeit und der auffällige Rückgang
der Geburtenhäufigkeit”. Unter der nationalsozialistischen Diktatur wurde die sozialdarwinistische Rassenhygiene zur Leitideologie der öffentlichen Gesundheitspflege erhoben und die Sozialhygiene
als Leitwissenschaft zerschlagen.
Zu den Mitbegründern des Vereins zählte auch Prof. Friedrich Renk (1850-1928), Inhaber des Lehrtuhls für Hygiene an der Technischen Hochschule und Leiter der Zentralstelle für Öffentliche
Gesundheitpflege.
Im Herbst 1893 kehrte der Kinderarzt Dr. Arthur Schloßmann (1867-1932) von Berlin nach Dresden zurück, wo er seine Kindheit und Jugendjahre verbracht hatte. Am 1. März 1894 eröffnete er in
seiner kinderärztlichen Praxis, Pfotenhauer Straße 26, eine private Poliklinik für Säuglinge und Kinder. Die Privatklinik Schloßmanns “gewährt armen, kranken Kindern unentgeltlich
ärztliche Behandlung, im Falle der Noth auch freie Arzneien und Heilmittel. Der ordinierende Arzt [Schloßmann] wird von Albertinerinnen unterstützt und hält seine Sprechstunde
daselbst Dienstags, Donnerstags, Samstags von 1/2 10 Uhr bis 1/2 11 Uhr vormittags ab” . Die Eröffnung einer Kinderpoliklinik zur unentgeltlichen Behandlung und kostenlosen
Bereitstellung von Medikamenten in Notlagen war einmalig in Dresden und zeugt vom sozialen Einsatz Schloßmanns. Zusätzlich richtete er eine Kindersprechstunde für Zahn- und
Mundkrankheiten mittwochs 17-18 Uhr ein, die der Hofzahnarzt Dr. Otto Torger übernahm. Bereits 1895/96 musste Schloßmann seine Sprechstunde von drei auf sechs Wochenstunden
erweitern.
Am 20. Dezember 1897 gründete Schloßmann gemeinsam mit Ärzten und Dresdner Bürgern den Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt, der die Einrichtung auf der
Pfotenhauer Straße weiterführte. Die Vereinsgründung ermöglichte die Erweiterung und die finanzielle Absicherung der Kinderpoliklinik. Noch im gleichen Jahr konnten innere und chirurgische
Sprechstunden eingerichtet werden. Als Vorsitzender des Vereins fungierte Commerzienrath Consul Theodor Menz. Zum Vorstand gehörten neben Schloßmann der Direktor der Königlichen
Frauenklinik Prof. Gerhard Christian Leopold (1846-1911), der Rektor der Königlich Technischen Hochschule, Prof. Ernst von Meyer (1847-1916) und der Direktor des Hygieneinstitutes der
Königlichen Technischen Hochschule, Prof. Renk. Lingner gehörte als stellvertretender Schatzmeister ebenfalls dem Vorstand an. Wie der Kontakt zwischen Lingner und Schloßmann zustande
kam, bleibt eine Vermutung. Schloßmann beschäftigte sich seit 1893 im Laboratorium der Chemischen Abteilung der Technischen Hochschule Dresden mit der Chemie der kindlichen Nahrungsmittel.
Lingners Freund Seifert arbeitete bis 1885 in dieser Abteilung. Er könnte Lingner 1896/97 auf diese Abteilung aufmerksam gemacht haben. Hier wurde durch die Privatdozenten Schloßmann und
von Walther (ebenfalls Mitarbeiter der Chemischen Abteilung) das Desinfektionsmittel “Glykoformal” entwickelt. Diese Substanz gehörte neben einem Desinfektionsapparat zum
Fertigungsprogramm der Desinfektionsabteilung der Lingner-Werke. Durch diese Zusammenarbeit könnte Schloßmann Lingner für die Mitarbeit im Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in
der Johannstadt interessiert haben. Berichte, wonach Lingner als Stifter der Kinderpoliklinik und des späteren Säuglingsheim gilt, können nicht bestätigt werden. Die Mitarbeit im
Verein ermöglichte Lingner den Kontakt zu bekannten Wissenschaftlern und Ärzten. Er verstand es, unter ihnen Mitarbeiter (zum Beispiel Renk, Schloßmann, Galewsky) für seine gemeinnützigen
Ziele zu gewinnen.
Am 1. August 1898 eröffnete der Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt die weltweit erste stationäre Behandlungsstätte für erkrankte Säuglinge im ersten Stock der
Arnoldstr. Nr. 1. In einem Brief an den Rat zu Dresden von 1899 schilderte der Verein seine Ziele: So will er arme und kranke Kinder unentgeltlich behandeln, die Pflege kranker Säuglinge
gewährleisten, Säuglingspflegerinnen ausbilden, die Versorgung mit guter und reiner Milch erleichtern und kontrollieren sowie “durch Belehrung und Hülfe mit Rath und That die Kinder-
und Säuglingssterblichkeit herabzusetzen suchen”.
Die Säuglingsklinik begann ihre Arbeit 1898 mit fünf Betten und konnte in diesem Jahr 89 Kinder bei 2.112 Verpflegungstagen behandeln [166]. Bereits 1899 kam es zu einer Erweiterung auf
18 Betten und es konnten 153 Kinder mit 5.347 Verpflegungstagen betreut werden, im Jahre 1900 waren es 264 Kinder mit 7.283 Verpflegungstagen. Auch die Kinderpoliklinik, ebenfalls seit
1898 auf der Arnoldstraße 1, erfuhr ab 1899 eine Erweiterung um Sprechstunden für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten und für Hauterkrankungen. Als Ärzte arbeiteten Dr. Schloßmann
(dirigierender Arzt), der Kinderarzt Dr. Richard Flachs (1863-1947), die Chirurgen Dr. Trautmann und Dr. Zunge, der Hautarzt Dr. Galewsky und die Zahnärzte Kühnast und Petri (bis 1898 die
Zahnärzte Hille und Nissen). Die stundenweise angestellten Ärzte arbeiteten nebenberuflich und unentgeltlich in der Kinderpoliklinik. Eine Neuerung Schloßmanns wird 1899 in einem
Brief des Vereins als “besondere Einrichtung für lebensschwache und frühgeborene Kinder” bezeichnet. Nach seinen Angaben wurden im Säuglingsheim Wärmeeinrichtungen für die Behandlung
von Frühgeborenen gebaut. Für Transporte kamen tragbare Wärmekisten zum Einsatz. Es handelte sich dabei offensichtlich um die Vorläufer unserer Inkubatoren. Außerdem beschäftigte sich
Schloßmann mit Fragen der Antiseptik bei der Pflege gesunder und kranker Säuglinge sowie mit Desinfektionsmaßnahmen. Zu den Aufgaben des Vereins Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim
gehörte seit 1899 die Ausbildung von Säuglingsschwestern. In einem einjährigen Lehrgang, der unter anderem sechs Wochen allgemeine Krankenpflege, acht Wochen geburtshilfliche Station und
vier Monate “Ausbildung in der Pflege von Infektionskrankheiten” am Kaiserin-Friedrich-Kinder-Krankenhaus in Berlin beinhaltete, wurden die zukünftigen Säuglingsschwestern
unterrichtet. Bereits 1899 befanden sich fünf junge Mädchen in Ausbildung. Im Jahr 1902 waren es dann schon 14 Schülerinnen. Die Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim wurde vorerst als rein
soziale Einrichtung durch Spenden betrieben. Neben der Krankenbehandlung und Schwesternausbildung widmete sich der Verein auch wissenschaftlichen Fragestellungen. Aufgrund der
Erkenntnis, dass die meisten Erkrankungen des ersten Lebensjahres und damit die hohe Säuglingssterblichkeit auf ungenügende oder falsche Ernährung zurückzuführen sind, richtete der
Verein bereits 1897 “ein mit allen Hilfsmitteln der modernen Chemie und Bakteriologie ausgerüstetes Laboratorium” ein.
Schloßmann, der seit 1893 im Laboratorium der Chemischen Abteilung der Technischen Hochschule Dresden die Chemie der kindlichen Nahrungsmittel wissenschaftlich untersuchte, verfolgte
zwei Ziele: Einerseits analysierten er und seine Mitarbeiter die zur Säuglingsernährung verwendeten Rohstoffe auf ihre hygienische Unbedenklichkeit hin, andererseits führte Schloßmann
Untersuchungen auf dem Gebiet der Säuglingsernährung und Säuglingskrankheiten durch. Im Ergebnis dieser Untersuchungen stellte das Säuglingsheim Säuglingsfertignahrung “fix und fertig
zum Gebrauch und zwar in Einzelportionsflaschen, individuell für jedes Kind geeignet” her. So konnten 1898 mehrere Tausend Flaschen zum Selbstkostenpreis von 30 Pfennig pro Tag verkauft
werden. Schloßmann forderte und praktizierte als erster in Deutschland die ausschließliche Ernährung kranker Säuglinge mit Frauenmilch. Dazu organisierte er gemeinsam mit Prof. Leopold
das Ammenwesen in Dresden. In der Königlichen Frauenklinik wurden die in Frage kommenden Wöchnerinnen ausgewählt und als Ammen mit ihren Kindern im Säuglingsheim aufgenommen. Aus der
Betreuung dieser gesunden Kinder durch das Säuglingsheim ging eine der ersten Mütterberatungsstellen in Deutschland hervor.
In seiner 1908 erschienenen Schrift “Betrachtungen über die Säuglingsfrage mit dem Vorschlage für die Organisation einer Landes-Zentrale für Säuglingspflege und Mutterschutz in Hessen”
setzte sich Lingner mit Fragen der Säuglingssterblichkeit auseinander. Dabei griff er Erkenntnisse der Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim auf und vertrat auch die Schloßmann’schen
Ernährungsprinzipien für Säuglinge und stellte die Vorteile der Frauenmilch für die Säuglingsernährung dar. Neben falscher Ernährung benannte Lingner die soziale Armut als Hauptursache
der Säuglingssterblichkeit, er verwies auf die “üblen Wohnverhältnisse” in Arbeitervierteln, den sozialen Zwang zur Arbeit von Schwangeren und Wöchnerinnen und auf die Mittellosigkeit
einfacher Frauen mit unehelichen Kindern. Zur Verbesserung dieser Situation dachte Lingner an die Einrichtung von Wöchnerinnen-Asylen durch die “Privatwohltätigkeit”, an die
Verschärfung gesetzlicher Bestimmungen über die Beschäftigung schwangerer Frauen und an die Einbeziehung der Krankenkassen zur Unterstützung von Schwangeren und Wöchnerinnen.
Lingner hatte sich bereits 1905 mit Fragen der Ernährung auseinandergesetzt. Emil von Behring (1854-1917) entwickelte zu dieser Zeit die von Tuberkelbazillen freie Perhydrasemilch. In der
1940 von Zeiss/Bieling veröffentlichten Behring-Biographie heißt es dazu: “Die Erfindung war vom wirtschaftlichen Standpunkt aus untragbar. Aus diesem Grunde ist es auch verständlich,
dass August Lingner ... sich bereits im Jahre 1905 den Plänen Behrings gegenüber ablehnend verhielt.”. Das Interesse Lingners für die Arbeiten Behrings erscheint insofern bemerkenswert, da
dieser die Blutserumtherapie entwickelte und 1901 für die Herstellung eines Diphtherieserum den Nobelpreis für Medizin erhielt. Das 1911 von Lingner begründete “Sächsische Serumwerk und
Institut für Bakteriotherapie” befasste sich auch mit diesem Verfahren.
Neben Fragen der Säuglingsernährung beinhaltet Lingners Denkschrift von 1908 einen Vorschlag zur Organisation einer Landeszentrale für Säuglings- und Mutterschutz in Hessen. Die Idee
zum Aufbau dieser Zentrale ging vom Großherzog von Hessen aus, mit dem Lingner freundschaftlich verbunden war. Auch bestärkte Schloßmann Lingner “in seiner systematischen Arbeit zum
Besten der Aufzucht gesunder Kinder”. Die Landeszentrale sollte als Stiftung aufgebaut werden und alle vorhandenen und noch zu planenden Maßnahmen der Säuglingsfürsorge ordnen und
zusammenführen. Die finanziellen Mittel zum Aufbau der Zentrale sollten über Spenden eines “Patronats-Vereines” und durch regelmäßige Beiträge kommunaler Behörden erbracht werden. Zur
Erfüllung der Aufgaben der Zentralstelle dachte Lingner an die Bildung von Ausschüssen (zum Beispiel Ausschuss für Milchwesen, Ausschuss für Wohnungshygiene, Ausschuss für
Industriewesen, Ausschuss für statistische Erhebungen). Entsprechend einer Veröffentlichung des Sächsischen Landesgesundheitsamtes von 1922 hatte Lingners Denkschrift “eine nicht
unwesentliche Rolle beim Zustandekommen des sächsischen Gesetzes über die Wohlfahrtspflege vom 30. Mai 1918 gespielt” und die Ausführungsverordnungen vom 4. Februar 1919 inhaltlich
beeinflusst. So wurden planmäßig und flächendeckend Mütterberatungsstellen eröffnet und den neugegründeten Wohlfahrtsämtern angegliedert. Entsprechend den Ausführungen Lingners
erfolgte nun der Ausbau der offenen Säuglingsfürsorge, “deren Grundgedanke ja die Förderung und Sicherstellung der natürlichen Ernährung des Kindes ist”.
Aufgrund zunehmenden Platzmangels und stetig steigender Patientenzahlen bemühte sich der Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim bereits 1901 in einem Gesuch an die Stadt Dresden um
einen Neubau. Der Verein erstellte ein Neubauprojekt und erwarb eine entsprechende Baustelle (Kreuzung Fürstenstraße/Pfotenhauer Straße). Damit hätte sich die geplante Klinik in
unmittelbarer Nähe zum 1901 eröffneten Johannstädter Krankenhaus und der neuen Königlichen Frauenklinik befunden. Die baupolizeiliche Genehmigung zur Errichtung einer Säuglingsklinik
(Fläche 584 m²) und einer Poliklinik (Fläche 455 m²) konnte erlangt werden. Ein entsprechender Finanzplan, Lingner war seit 1902 Schatzmeister des Vereins, wurde erstellt und erste
Geldmittel erbracht. In einem Rechenschaftsbericht des Vereins von 1902 wird über eingetroffene Spenden berichtet, so zahlten Menz, Schloßmann und Lingner mit jeweils 2.000 Mark die höchsten
Beträge ein. Auch Nichtmitglieder, so der bekannte Photograph Walter Hahn (1889-1969), unterstützten den Verein. Für die Erstellung der jährlichen Bilanz des Vereins nutzte Lingner sein
Privatsekretariat in den Lingner-Werken. Trotz der weitreichenden Vorbereitungen zum Neubau einer Säuglingsklinik lehnten die Stadtverordneten von Dresden am 20. November 1902 den Neubau
ab. Als Gründe wurden eine zu große Ansteckungsgefahr in derartigen Einrichtungen, die Trennung Kind-Eltern, die Gefahr der Verwendung von Kindern als Versuchsobjekte, eine genügende
Anzahl von Armenärzten und finanzielle Schwierigkeiten angeführt. Bei dieser Einschätzung blieben die Erfolge des Säuglingsheimes offensichtlich unberücksichtigt. Mit 25,6 Prozent,
bezogen auf 406 erkrankte Säuglinge, erreichte das Säuglingsheim 1902 eine vergleichsweise geringe Säuglingssterblichkeit. In der Säuglingsabteilung der Charité betrug diese 74,7 Prozent
(1892-1896), und im Kinderkrankenhaus Leipzig wurde 1900 eine Säuglingssterblichkeit von 64,6 Prozent registriert. Auch die 1903 erfolgte Erweiterung der Kapazität im Säuglingsheim auf
23 Betten konnte den Bedarf nach Behandlungsplätzen in keiner Weise decken, was zu einer ständigen Überbelegung der Einrichtung (über 40 Kinder) führte. In einem Brief des Vorstandes des
Vereins vom 18. Juni 1903 an den Rat zu Dresden heißt es: “In einer Sitzung des Gesamtvorstandes [des Vereins] vom 16. Juni ist einstimmig beschlossen worden, mit Ende des Jahres 1903 die
Vereinstätigkeit einzustellen, wenn uns nicht inzwischen von seiten der Stadtgemeinde für die Zwecke unseres Säuglingsheimes eine geeignete Unterkunft und damit Sicherheit für das
Weiterbestehen desselben geboten ist”.
Sicher wäre es zur Schließung des Säuglingsheimes gekommen, wenn nicht ein Vorgang im Deutschen Reichstag unverhofft Hilfe gebracht hätte. Der sozialdemokratische Abgeordnete Otto
Friedrich Wilhelm Antrick (1858-1932) wies 1902 im Reichstag auf Unzulänglichkeiten in Krankenhäusern hin. In Folge dessen führte das Reichsamt des Innern entsprechende Revisionen durch, bei
denen auch das Säuglingsheim in Dresden beurteilt wurde. Der nun zu Tage tretende Platzmangel (43 Kinder in 23 Betten und einem Kommodenkasten) sowie die daraus folgende
Beeinträchtigung der Hygiene wurden im Ergebnis der Revision festgestellt. Der Rat zu Dresden beschloss daraufhin am 11. Juli 1903, zur “Ermietung eines Grundstückes das Erforderliche in die
Wege zu leiten”. Über ein Zeitungsinserat konnte der Verein das Mehrfamilienhaus Wormser Straße 4 mieten. Hier setzte der Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt am 1.
Januar 1904 seine Tätigkeit fort. Es standen 50 Betten für jährlich 600 Kinder zur Verfügung. Im Keller des Gebäudes befand sich die Hausmannswohnung sowie der Obduktionsraum. Im Ostflügel
des Erdgeschosses waren die Poliklinik, die Röntgen-Abteilung, ein OP-Zimmer und auch ein Raum für orthopädische Übungen untergebracht. Die Aufnahme, die Laboratorien und die Ärztewohnungen
befanden sich im Westflügel des Erdgeschosses, die Verwaltung sowie ein Isolierzimmer waren im ersten Stock, Kranken- und Ammenzimmer im zweiten Stock, Schwesternwohnungen, die Milchküche und
die Wäscherei im dritten Stock untergebracht.
Ab 1905 unterhielt das Säuglingsheim noch eine Waldstation im Albert-Park der Dresdner Heide. Hier konnten chronisch kranke Kinder behandelt werden, um so für eine Entlastung der Klinik zu
sorgen. Die erheblichen Kosten für die Ermietung des Gebäudes Wormser Straße 4 sowie die laufenden Betriebsausgaben wurden durch freiwillige Spenden und jährlich feste Beiträge der Stadt
Dresden und durch die Einnahmen des Säuglingsheimes (40.000 bis 50.000 Mark pro Jahr) gedeckt. Obwohl die Stadt Dresden die jährliche Unterstützung auf 5000 Mark erhöhte und die Mietkosten
von 9.500 Mark pro Jahr übernahm, musste der Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim erhebliche Fehlbeträge verzeichnen, zu deren Deckung der Verein nicht in der Lage war. Um die
Fortführung des Säuglingsheimes zu gewährleisten, übernahm die Stadt Dresden am 1. Januar 1907 die Anstalt mit Ausnahme der Poliklinik. Zur Fortführung der Poliklinik wurde der Verein
Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt in den Verein Kinderpoliklinik in der Johannstadt umgewandelt. Die Leitung des Säuglingsheimes wurde der Verwaltung des
Stadtkrankenhauses Johannstadt übertragen. Bereits 1907 eröffnete eine Beratungsstelle des Säuglingsheimes zur unentgeltlichen Unterweisung “Unbemittelter” in Fragen der
Säuglingsernährung und Säuglingspflege. Nach dem ersten Weltkrieg wurden hier zusätzlich Wanderlehrerinnen des Deutschen Hygiene-Museums ausgebildet. Über Lingners weitere
Aktivitäten im Verein Kinderpoliklinik ist nur wenig bekannt. 1907 unterstützte er die Präsentation des Säuglingsheimes auf Ausstellungen in Berlin und London durch Photographien aus seinem
Privatbesitz. 1908 wurde Lingner stellvertretender Vorsitzender des Vereins und war im selben Jahr als Mitglied im Ehrenkomitee der “Allgemeinen Ausstellung für Säuglings- und
Kinderpflege” in Solingen vertreten.
Nach dem Tod des langjährigen Vorsitzenden Menz im Jahre 1910 übernahm Lingner den Vorsitz des Vereins, den er bis zu seinem Tode 1916 inne hatte. Für junge Mütter führte der Verein ab 1910
Unterrichtskurse in der Säuglingspflege durch, bei denen sozial Schwache nur eine Mark für zehn Unterrichtsstunden zu zahlen hatten. Der normale Preis betrug 15 Mark. Wesentliche Anregungen
für Lingners weiteres soziales Wirken lassen sich auf Kontakte und Erfahrungen mit Mitgliedern des Vereins Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt zurückführen.
Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt