Hygiene-Ausstellungen
Lingner fand spätestens 1892, im Zusammenhang mit der Entwicklung des Odolantiseptikums durch seinen Freund Seifert, Zugang zu Fragen der Bakteriologie und Hygiene. Dabei nutzte Lingner
das Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten nach “Schutz vor den unsichtbaren Bakterien”. Die Freundschaft zu Seifert war mit großer Wahrscheinlichkeit der Ausgangspunkt für Lingners
späteres Wirken auf dem Gebiet der hygienischen Volksbelehrung. Seifert öffnete ihm das Verständnis zu den maßgebenden Arbeiten Robert Kochs und war als Arzneimittelchemiker in der Lage,
Kontakte zwischen Lingner und Ärzten zu vermitteln. In dem von Schloßmann 1897 begründeten Verein Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt lernte Lingner als
Vorstandsmitglied Ärzte und Naturwissenschaftler kennen, die ihm bei seinen gemeinnützigen Vorhaben unterstützten.
Der 1901 schriftlich niedergelegte “Vorschlag zur Errichtung einer Desinfektionsanstalt” enthält erstmals Vorstellungen Lingners, wonach “eine zielbewusste hygienische Erziehung der ganzen
Bevölkerung mit allen möglichen Mitteln” notwendig sei, da “der grösste Theil der Einwohnerschaft ... keine Ahnung von der Wichtigkeit und dem Nutzen hygienischer Schutzmaßnahmen
[hat]”. Diese Erziehungsarbeit sah Lingner als eine Aufgabe der Desinfektionsanstalt an, für die Zukunft dachte er auch an ein hygienisches Institut für Dresden. Die hygienische Belehrung
der Bevölkerung sollte nach Lingner auch durch regelmäßige Aufklärungsartikel in den Tageszeitungen unterstützt werden, “denn eine hygienisch aufgeklärte Bevölkerung kann durch eigene
Sorgfalt mindestens ebensoviel gegen die Weiterverbreitung ansteckender Krankheiten ausrichten, wie die behördlichen Organe mit den schliesslich dringend nothwendigen
Zwangsmassregeln”.
1902 unterbreitete Lingner dem damaligen Oberbürgermeister von Dresden, Beutler, den Vorschlag, das Projekt “Ausstellung einer Musterdesinfektionsanlage nebst wissenschaftlichen
Präparaten” auf der Städteausstellung 1903 in Dresden aufzunehmen. Beutler unterstützte das Vorhaben Lingners nach besten Kräften, hatte jedoch Mühe, die Mitglieder der Stadtverwaltung
vom gemeinnützigen Interesse der Ausstellung zu überzeugen. Immerhin war die Präsentation des Lingnerschen Desinfektionsapparates vorgesehen, was als eigennützige Werbung verstanden
werden konnte. Durch das Betreiben der Desinfektionszentrale erlebte Lingner tagtäglich die aus Unkenntnis resultierende Ablehnung von Desinfektionsmaßnahmen. Dieser Unkenntnis wollte
Lingner durch eine Massenbelehrung über Desinfektionsmaßnahmen und über das Wesen ansteckender Krankheiten in Form einer Ausstellung begegnen. Für die Planung der Ausstellung
“Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung” nutzte Lingner die Villa Ecke Zwickauer Straße/Eisenstuckstraße und begründete ein Ehrenkomitee der Ausstellung. Ein Großteil der Mitglieder (unter
anderen Renk, Gärtner, Buschbeck, Schmorl, von Esmarch, Pfeiffer) sind auch an den Vorbereitungen der Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 beteiligt gewesen.
Mit Blick auf die Ausstellung fertigte 1902 die Bakteriologische Abteilung der Lingner-Werke Lehrtafeln, Moulagen, und Präparate an. Die wissenschaftliche Aufsicht dieser Arbeiten übernahm
Ludwig Lange, der Leiter der Bakteriologischen Abteilung (aus welcher sich das Sächsische Serumwerk entwickelte). Aus diesen ersten Anfängen der Herstellung von Anschauungsmaterialien
entstand letztendlich die Lehrmittelwerkstatt des National Hygiene-Museums. Damit wird auch ein von Heinz-Egon Kleine-Natrop (1917-1985) wiedergegebenes Zitat verständlich, wonach “das
Sächsische Serumwerk und das Deutsche Hygiene Museum eigentlich Zwillingsschwestern sind”. Unterstützung und Förderung für seine Ausstellung erhielt Lingner auch durch den Deutschen
Verein für Volkshygiene, Umfang und Art sind jedoch unbekannt. Bei Vorbesprechungen zur Ausstellung “Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung” lernte Lingner im Jahre 1903 den Münchner
Augenarzt Dr. Otto Neustätter (1870-1941) kennen, der sich in Zeitschriftenartikeln mit kurpfuscherischen Vorträgen und falschen Belehrungen auseinandersetzte. Außerdem besaß Neustätter
umfangreiche Sprachkenntnisse und ein großes Interesse für die Geschichte der Medizin, was für die spätere Zusammenarbeit mit Lingner bedeutsam werden sollte. Die in der Ausstellung
genutzten darstellerischen Möglichkeiten von Moulagen lernte Lingner mit großer Wahrscheinlichkeit erstmals in der Kinderpoliklinik mit Säuglingsheim in der Johannstadt kennen.
Schloßmann besaß hier eine eigene Sammlung, die er zur Ausbildung von Säuglingsschwestern nutzte. Die Ausstellung “Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung” wurde von Lingner in drei Kapitel
- Darstellung der Krankheitserreger, der Krankheitserscheinungen und der Bekämpfungsmittel - untergliedert. Den Ausstellungspavillon entwarf Prof. W. Kreis. Im Mittelpunkt des Pavillons
war eine riesige Statue, Herkules, die Hydra bekämpfend, aufgestellt. Zur Ausstellung gelangten Reinkulturen von Bakterien aus dem Pasteur-Institut Paris, plastische Darstellungen der
Krankheitserscheinungen durch Wachsgebilde und Spirituspräparate, statistische Tafeln, Diphtherieseren und andere. Die öffentliche Ausstellung menschlicher Organe und ihrer
krankhaften Veränderungen war Anfang des 20. Jahrhunderts ungewöhnlich und daher anziehend, aber auch von einer gewissen Schockwirkung. Um lebende Bakterien den Besuchern erstmals
sichtbar zu machen, entwickelte Lingner eine Konstruktion zur vereinfachten Handhabung der Ausstellungsmikroskope. Besondere Beachtung schenkte Lingner der Anfertigung statistischer
Tafeln, sie wurden stark vereinfacht und somit auch für Laien lesbar dargestellt. Lingners größte Leistung bei der Gestaltung der Ausstellung lag darin, dass er nicht, wie auf
Hygieneausstellungen üblich (so 1883 in Berlin), die Gesundheitstechnik in den Vordergrund rückte, sondern tatsächlich auf die Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung einging. In
seiner Schrift “Einige Leitgedanken zur Sonderausstellung: Volkskrankheiten und ihre Bekämpfung” bezeichnete Lingner die Ausstellung als “den ersten Versuch zur Organisation eines
hygienischen Stadtmuseums”, da eine wirksame hygienische Volksbelehrung nur durch Einrichtung ständiger Bildungsstätten erreichbar sei. Die Ausstellung, in vier Wochen von über 220.000
Menschen besucht, war ein großer Erfolg und wurde noch in Frankfurt am Main (1904), München (1905) und Kiel (1906) gezeigt.
Das überaus große Interesse der Bevölkerung gab Lingner wohl die Anregung zur Vorbereitung der Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911. In einem Beschluss der Kreishauptmannschaft
Dresden von 1905, “eine für das Jahr 1908 geplante Allgemeine Hygieneausstellung in Dresden betreffend”, wird das Vorhaben öffentlich benannt. Im November 1905 fand bei Oberbürgermeister
Beutler eine Sitzung zur Planung der Internationalen Hygiene-Ausstellung für 1908/09 statt. Die Teilnehmer der Sitzung Beutler, Buschbeck, Renk, Gärtner und Prof. Franz Hoffmann
(1843-1917, Leipzig) bildeten das am 19. Januar 1906 eingesetzte Komitee für die Internationale Hygiene-Ausstellung. Wenn auch Beutler zum Vorsitzenden gewählt wurde, so trug Lingner als
Geschäftsführer die organisatorische Verantwortung. Dies geht auch aus einem Brief Beutlers an den Staatsminister Posadowsky aus dem Jahre 1905 hervor, in dem er betonte, “dass durch die
Übernahme der eigentlichen Ausstellungsleitung durch Herrn Geheimrat K. Lingner die Sicherheit geboten wird, dass die innere Organisation und äußere Gestaltung der Ausstellung in jeder
Beziehung eigenartig und im hohem Grade anziehend werden wird.”. Auf der konstituierenden Sitzung des Komitees wurde die Ausstellung für 1909 vorgesehen, da 1907 schon ein Internationaler
Hygiene Kongress in Berlin geplant war. In der Folgezeit kam es zu zähen Verhandlungen zwischen den Organisatoren der geplanten Ausstellung und öffentlichen Ämtern. Vor allem das Sächsische
Finanzministerium blockierte die Ausstellungsvorbereitungen durch Behinderung der geplanten Lotterie und durch fehlende Aussagen des Ministeriums zu dessen finanzieller
Mitbeteiligung. Im Gegensatz dazu hatte Lingner nach eigenen Angaben bereits “als einziger Privatmann eine viertel Million für das Unternehmen aufs Spiel gesetzt”.
Am 19. November erklärte Lingner in einem Brief an Beutler seinen Rücktritt vom Ausstellungsdirektorium und begründete dies mit “fehlender finanzieller Opferwilligkeit”, einem
fehlenden “Fond von Lust und Liebe zur Sache” sowie mit allgemeiner Unlust des Finanzministeriums der Ausstellung gegenüber. Für den Fall des totalen Scheiterns der Ausstellung bot Lingner
der Stadt Dresden 100.000 Mark für einen “großen hygienischen Zweck” an.
Aufgrund der angeführten Schwierigkeiten beschloss das aus dem Vorbereitungskomitee hervorgegangene Direktorium für die Internationale Hygiene-Ausstellung am 6. Dezember 1906, die
Ausstellung auf 1910 zu verschieben. Außerdem sollte ein neuer Finanzplan erstellt werden, von dessen Ergebnis Lingner seine weitere Mitarbeit als Vorsitzender des Ausstellungsdirektoriums
abhängig machte. In langwierigen Verhandlungen konnten unter tatkräftiger Mitarbeit des damaligen Ministers des Innern, Graf Vitzthum von Eckstädt (1863-1936), alle Schwierigkeiten aus
dem Weg geräumt und der Widerstand des Finanzministeriums überwunden werden.
1908 gründete Lingner, der nun weiter das Ausstellungsdirektorium leitete, den Verein zur Veranstaltung der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 und vereinbarte vertraglich
mit der Stadt Dresden “für den Fall eines genügend hohen Überschusses der Einnahmen, diesen Überschuss zur Begründung eines Volkshygienemuseums zu verwenden”. Als erster stellvertretender
Vorsitzender des Vereins übernahm Prof. Friedrich Renk die Erarbeitung der wissenschaftlichen Konzeption und Ausgestaltung der Ausstellung. Die Stellung Renks als anerkannter Wissenschaftler auf
dem Gebiet der Hygiene ermöglichte es, namhafte Wissenschaftler für die Gestaltung der Ausstellung zu gewinnen. So schreibt beispielsweise Rubner an Renk: ”Du bürgst uns mit Deinem Namen, wenn
wir ausstellen, von Lingner wissen wir nichts.”
1908 verlegte Lingner sein Privatsekretariat in die Großenhainer Straße 9, richtete Büros und Werkstätten ein und leitete von hier aus die Ausstellungsvorbereitungen. Die Räume mietete er von
der Firma Hermann Butter. Im gleichen Jahr begründete er hier das Pathoplastische Institut zur Herstellung von Moulagen und Modellen, ab 1910 stand es unter der Leitung des bekannten
Berliner Moulagisten Fritz Kolbow. In einer eigens für Dr. Friedrich Woithe (1878-1923) eingerichteten mechanischen Werkstatt entstanden einzigartige biologische Modelle und
Apparate für die Hygieneausstellung. Woithe arbeitete vor seiner Tätigkeit in Dresden als bayerischer Militärarzt und war von 1906-1910 am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin
bakteriologisch tätig. Für die Leitung der Photographischen Werkstatt konnte Lingner den bekannten Photographen Richard Fleischer gewinnen. Nachdem diese ersten Vorarbeiten abgeschlossen
waren, konnte Lingner führende Wissenschaftler des Deutschen Reiches nach Dresden einladen. “Der 12.Febr.1909 kann als Geburtsstunde der Internationalen Hygiene-Ausstellung bezeichnet werden. An
diesem Tage fand in Dresden eine große Tagung statt, an der sich u.a. an Wissenschaftlern eingefunden hatten: Robert Koch, Behring, Abel, Bergmann, Czerny, Ehrlich, von Esmarch, Bumm, Fischer,
Flügge, Kaufmann, Löffler, Neisser, Neufeld, Selter, Schmorl, Uhlenhut, Wassermann, Würzburger u.a.m.”
Neben den Bemühungen Lingners, das Zustandekommen der Ausstellung seitens der Stadt, des Landes Sachsen und des Deutschen Reiches abzusichern, galt es nun, die konkreten
Ausstellungsinhalte zu konzipieren und entsprechende Mitarbeiter zu gewinnen. Das Gesamtvorhaben der Ausstellung wurde nach inhaltlichen Schwerpunkten in Gruppen untergliedert, wobei
jeder Gruppe ein eigener Ausschuss angegliedert war. Bereits im März 1909 waren die Vorbereitungen für das Ausstellungsprogramm und die Bildung der Ausschüsse nahezu abgeschlossen [85].
Lingner gelang es, auch mit Hilfe von Renk, namhafte Wissenschaftler für die Ausschüsse zu gewinnen. Für die historische Abteilung, die kulturgeschichtlich und rein wissenschaftlich
bedeutendste Ausstellungsabteilung, konnte er den Direktor des Medizinhistorischen Institutes Leipzig, Prof. Karl Sudhoff (1853-1938), verpflichten. Nach Neubert brachte Lingner eine
übermenschliche Geduld auf, “um mit dem sehr auf seine Stellung und Autorität bedachten Mann auszukommen”.
Ausdrücklich unterstützte Robert Koch die Ausstellung, noch kurz vor seinem Tod besuchte er Lingner in Dresden. Als weitere namhafte Wissenschaftler konnte Lingner unter anderen den Breslauer
Dermatologen Prof. Albert Neisser (1855-1916), den Dresdner Dermatologen Prof. Eugen Galewsky (1864-1935), den Jenenser Hygieniker Prof. August Gärtner (1848-1916?) und den Leipziger
Anatom Prof. Werner Spalteholz (1861-1940) gewinnen. Lingner vereinbarte 1909 mit Spalteholz den Aufbau einer anatomischen Sammlung für die I. Internationale Hygiene-Ausstellung 1911.
Spalteholz war durch die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung durchsichtiger anatomischer Präparate bekannt geworden. Die Patentrechte hatte Spalteholz der Firma Natura docet in
Naunhof bei Leipzig verkauft, so musste Lingner in der Folgezeit gemeinsam mit Justizrat Popper um die Genehmigung zur Ausstellung der Spalteholzpräparate kämpfen. Lingner gelang es
schließlich, die Präparate in der Ausstellung zu zeigen und konnte ein Rückkaufangebot der Patentrechte (Forderung: 40.000 Mark) ablehnen. Neben der Ausgestaltung der Hygieneausstellung
dachte Lingner bereits 1909 an die Herstellung einer “größeren Serie anatomischer Präparate”, wofür er Spalteholz begeistern konnte. Lingner erklärte sich bereit, sämtliche
Arbeitskräfte und Materialien zur Verfügung zu stellen, wozu er durch die Gründung des Pathoplastischen Institutes in der Lage war. Inwieweit Lingner dabei 1909 an eine kommerzielle
Verwertung bzw. den Aufbau eines Hygienemuseums dachte, ist unbekannt. Bereits in Vorbereitung der Ausstellung 1911 “... waren Versuche unternommen worden, dieses Meisterwerk (den
gläsernen Menschen,d.Verf.) zu schaffen. Zeiss und Schott und Gen., Jena, stellten Versuche an. Man konnte wohl die einzelnen Organe in Glas giessen und beleuchten, aber die Haut und das
Knochengerüst damit zu verbinden, gelang nicht.
Am 6. Mai 1911 öffnete die I. Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden ihre Pforten. Das Ausstellungsgelände hatte eine Ausstellungsfläche von 320.000 m² (davon 75.000 m²
überdacht) und umfasste den Städtischen Ausstellungspalast, beide Teile des Großen Gartens, die Güntzwiesen und den Sportplatz an der Lennéstraße. Entlang der Herkules-Allee
befanden sich die Pavillons der ausländischen Aussteller, die im jeweiligen Landesstil errichtet waren (Brasilien, China, England, Frankreich, Italien, Japan, Österreich,
Russland, Schweiz, Spanien, Ungarn und die Stadt Amsterdam) [179]. Die Architekten Prof. William Lossow (1852-1927) und Prof. Max Hans Kühne (1874-1942) gewannen einen Wettbewerb zur
baulichen Ausgestaltung der Ausstellung und wurden zu Generalarchitekten ernannt. Neben der zentralen Ausstellungshalle “Der Mensch” waren die anderen Abteilungen in 45 Hallen
untergebracht.
Das Symbol der Ausstellung, das “Hygiene-Auge”, entwarf der Münchner Kunstmaler Prof. Franz von Stuck (1863-1928) nach den Vorstellungen Lingners. Dieser konnte dabei angeblich auf einen
Traum zurückgreifen, in dem ihm ein Sternenhimmel mit Auge erschienen sei.
Die Ausstellung repräsentierte den damaligen Kenntnisstand zur Hygiene im umfassenden Sinne. Die Schau wendete sich gleichermaßen an den einfachen Bürger, den Hygieniker und den
Kulturwissenschaftler. Gegliedert wurde die Ausstellung in sechs Abteilungen, die wiederum in Gruppen unterteilt waren. Zu den Abteilungen gehörten: die Wissenschaftliche Abteilung,
die Historische Abteilung, die Populäre Abteilung, die Sportliche Abteilung, die Statistik und die Industrieabteilung.
Der Mittelpunkt der gesamten Ausstellung war zweifellos die populäre Abteilung mit dem Pavillon “Der Mensch”. Diese Abteilung stand unter der Leitung Lingners und wurde nach seinen
Vorstellungen realisiert. Diese Abteilung war in folgende Gruppen unterteilt:
- Der Mensch als Kunstwerk
- Genussmittel
- Ernährung
- Allgemeine Berufshygiene
- Kleidung
- Volkskrankheiten
- Siedlung und Wohnen
- Körperpflege
- Bevölkerung
Die Schwerpunkte dieser Gruppen:
1. Die Verhältnisse, die den Menschen als Einzelwesen betreffen und sollten belehren über:
a) den menschlichen Körper
b) die Schädigungen, die den menschlichen Körper bedrohen – diese wiederum gegliedert nach der Art des Einflusses: wie Beruf, Alter, Geschlecht, Klima, Rasse, sonstige äußere Verhältnisse
usw.
c) gesundheitsfördernde Maßnahmen, Gesundheits-und Lebensregeln, Sport
2. Die Verhältnisse, die die Menschen als Gemeinschaft betreffen, und zwar:
a) die gesundheitlichen Gefahren, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen ergeben – diese wiederum eingeteilt nach der Art der Einflüsse: Luft, Wasser, Wohnung, Siedlung, Schule,
Verkehrsmittel, Epidemien usw.
b) die behördlichen Maßnahmen zur Abwehr solcher Gefahren und zur Förderung der gesundheitlichen Wohlfahrt der Bevölkerung.
Von großer Bedeutung war auch die von Sudhoff konzipierte Historische Abteilung, welche die Geschichte der Hygiene vom Altertum bis zur Gegenwart darstellte.
Neben der Historischen Abteilung mit 17773 (!) Ausstellungsobjekten, fand vor allem in Fachkreisen die Wissenschaftliche Abteilung großes Interesse. Diese sollte “einen lückenlosen,
systematischen Überblick über die Errungenschaften der modernen Hygiene geben. Für diesen Zweck wurde das ganze Gebiet der Hygiene in 36 Gruppen und sieben Sondergruppen eingeteilt. Die
Anordnung des Ausstellungsmaterials innerhalb dieser Gruppen nach der Materie und nicht nach dem Aussteller war das Hauptprinzip bei der Organisation der Wissenschaftlichen
Abteilung, also ein gewisses Zurücktreten der Person des Ausstellers hinter dem Objekt”.
Die I. Internationale Hygiene-Ausstellung 1911 wurde nicht zuletzt durch neuartige Methoden der Wissensvermittlung zu einem großen Erfolg. Leichtverständliche Bildtafeln,
meisterhafte natürliche Präparate, wirklichkeitsgetreue Moulagen, wissenschaftlich einwandfreie anatomische Modelle sowie von den Besuchern selbst zu bedienende mechanische Apparate
brachten ihnen die nicht immer leicht verständliche Materie nahe.
Am 31. Oktober 1911 wurde die I. Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden geschlossen. Etwa 5,5 Millionen Menschen besuchten die Ausstellung und erbrachten einen Reingewinn von über
einer Million Reichsmark. Der im Rahmen der Ausstellung von Lingner geleistete Beitrag zur Popularisierung hygienischen Gedankengutes sowie zur Gesundheitsaufklärung und -erziehung sollte
als seine bedeutendste Leistung im Bereich der hygienischen Volksbelehrung gesehen werden. In Anerkennung seiner Verdienste bei der Gestaltung und Durchführung der I. Internationalen
Hygiene-Ausstellung ernannte die Stadt Dresden Lingner 1911 zum Ehrenbürger der Stadt. Der sächsische König verlieh ihm den Titel eines „Wirklichen Geheimen Rates“. Dieser entsprach einer Art
Ministerrang ehrenhalber mit dem Titel “Exzellenz”, verbunden mit einem Vortrags –und Audientzrecht bei Hofe. Viele ausländische Staaten ehrten Lingner mit ihren Großkreuzen. Die
medizinische Fakultät der Universität Bern verlieh Lingner auf Vorschlag von Prof. Kolle die Ehrendoktorwürde. Anlässlich seiner Ehrenpromotion hielt Lingner am 14. Dezember
1912 vor der Medizinischen Fakultät der Universität Bern einen Vortrag zum Thema “Der Mensch als Organisationsvorbild”. Hierbei verglich er den Staat mit dem menschlichen
Organismus. Für Lingner stellte der Mensch die höchste Organisationsform überhaupt dar.
Der imponierende Reinertrag der Ausstellung war der Ausgangspunkt, das Projekt eines Hygienemuseums in die Realität umzusetzen. Lingner selbst hatte durch eigene finanzielle Aufwendungen
von etwa 400.000 Mark den Erfolg der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 unterstützt. Noch während der Ausstellung, am 15. August 1911, schloss Lingner mit Spalteholz einen
Vertrag über die Herstellung von “Spalteholzpräparaten” für ein Hygiene Museum ab. Im Dezember 1911 begründete Lingner eine “Centralstelle für Hygiene”, deren Geschäftsräume sich auf der
Großenhainer Straße 9 befanden. Damit erhielt die Zentralstelle alle Werkstätten, Büros und das Pathoplastische Institut, die in Vorbereitung der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung
hier eingerichtet wurden. Die Zentralstelle diente als “Überleitungsanstalt” für das zu gründende Hygienemuseum. Zu diesem Zweck übernahm sie die Populäre Abteilung und die
Historische Abteilung der Ausstellung und begann mit den Vorbereitungen zum Aufbau des Hygienemuseums. Darüber hinaus zählten die Herstellung und der Verkauf von
Ausstellungsobjekten und Präparaten zu den Aufgaben der Zentralstelle für Hygiene.
Internationale Hygiene-Ausstellung 1911